Wählerisches selektives Essverhalten positiv verändern (picky Eating / ARFID)
- Sarah Mörstedt

- 28. Okt.
- 9 Min. Lesezeit

Wählerisches Essverhalten und Abgrenzung zur ARFID
Wählerisches Essverhalten, im Englischen häufig als picky eating bezeichnet, beschreibt eine ausgeprägte Selektivität in der Lebensmittelauswahl. Betroffene Personen, meist Kinder, zeigen dabei deutliche Präferenzen für bestimmte Speisen und lehnen andere, oftmals aufgrund von Farbe, Geruch, Konsistenz oder Aussehen, konsequent ab. Dieses Verhalten tritt besonders häufig im Kleinkindalter auf und wird in vielen Fällen als Teil der normalen Essentwicklung betrachtet. Kinder beginnen in dieser Phase, ihren eigenen Geschmack zu entdecken, Selbstbestimmung zu erproben und Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme auszuüben.
Typisch für wählerisches Essverhalten ist, dass Betroffene häufig nur eine begrenzte Auswahl an Lebensmitteln akzeptieren, dabei aber ausreichend Energie und Nährstoffe aufnehmen, um Wachstum und Entwicklung zu gewährleisten. Obwohl Essenssituationen zeitweise konflikthaft verlaufen können, bestehen in der Regel keine medizinisch relevanten Mangelzustände. Das Verhalten kann für Familien jedoch eine erhebliche Belastung darstellen, vor allem, wenn Essenssituationen von Druck, Zwang oder Stress begleitet werden. In solchen Fällen kann sich das Verhalten verfestigen und über Jahre bestehen bleiben.
Die Ursachen von picky eating sind vielfältig. Neben entwicklungspsychologischen Faktoren spielen sensorische Empfindlichkeiten, Lernerfahrungen und familiäre Essgewohnheiten eine zentrale Rolle. Kinder, die auf neue Reize besonders empfindlich reagieren, lehnen ungewohnte Texturen, Gerüche oder Mischspeisen oft stärker ab. Hinzu kommt, dass wiederholter Druck beim Essen, etwa das Erzwingen des Probierens, das Meideverhalten eher verstärkt als verringert. Förderlich sind dagegen positive, druckfreie Esserfahrungen, bei denen Neugier, Routine und Mitbestimmung im Vordergrund stehen.
Von diesem entwicklungsbedingten, meist harmlosen Muster muss die „Avoidant / Restrictive Food Intake Disorder“ (ARFID) abgegrenzt werden – eine im DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) anerkannte Essstörung. ARFID zeichnet sich durch eine deutlich ausgeprägte und klinisch relevante Einschränkung der Nahrungsaufnahme aus, die zu körperlichen, psychischen und sozialen Beeinträchtigungen führt. Betroffene essen nicht nur selektiv, sondern in einem Maße restriktiv, dass Gewichtsverlust, Nährstoffmängel oder Abhängigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln oder Sondenernährung entstehen können.
Während beim wählerischen Essverhalten meist ausreichend Energiezufuhr und körperliche Gesundheit bestehen, kommt es bei ARFID häufig zu Mangelerscheinungen und Beeinträchtigungen der Alltagsbewältigung. So vermeiden Betroffene oftmals gemeinsame Mahlzeiten, ziehen sich sozial zurück oder entwickeln starke Angstreaktionen beim Kontakt mit bestimmten Lebensmitteln. Anders als bei anderen Essstörungen, wie etwa der Anorexia nervosa, liegt bei ARFID keine Angst vor Gewichtszunahme oder eine gestörte Körperwahrnehmung zugrunde. Stattdessen steht die Vermeidung bestimmter Lebensmittel im Vordergrund – ausgelöst durch sensorische Überempfindlichkeiten, negative Erfahrungen (z. B. Würgen, Erbrechen) oder ein generelles Desinteresse am Essen.
Die Übergänge zwischen ausgeprägtem picky eating und ARFID können fließend sein. Wenn das selektive Essverhalten über das Kindesalter hinaus anhält, sich verschärft oder deutliche gesundheitliche Folgen zeigt, sollte eine professionelle Abklärung erfolgen. Eine frühzeitige Intervention kann verhindern, dass sich aus einem ursprünglich harmlosen Muster eine ernährungsbezogene Störung entwickelt.
Therapeutisch stehen bei ARFID multimodale Ansätze im Vordergrund: Ernährungspsychologische Begleitung, kognitive Verhaltenstherapie (z. B. CBT-AR) und sensorische Integrationstherapie können helfen, Ängste abzubauen und die Lebensmittelauswahl schrittweise zu erweitern. Beim wählerischen Essverhalten hingegen reicht häufig eine pädagogisch-psychologische Unterstützung, die auf druckfreie Exposition, positive Verstärkung und strukturiertes Essverhalten setzt.
Zusammenfassend lässt sich sagen:
Wählerisches Essverhalten ist ein häufiges, meist vorübergehendes Entwicklungsphänomen, das durch behutsame Begleitung und positive Essumgebung in den meisten Fällen selbstständig überwunden werden kann. ARFID hingegen ist eine ernstzunehmende Essstörung mit medizinischer Relevanz, die professionelle Behandlung erfordert. Eine klare Abgrenzung zwischen beiden ist entscheidend, um Betroffene angemessen zu unterstützen und Über- oder Unterreaktionen zu vermeiden.
— Verständnis, Stärkung und ernährungspsychologische Ansätze —
1. 🌿 Was ist wählerisches Essverhalten?
Wählerisches Essverhalten (picky eating) ist ein selektives Essmuster, bei dem bestimmte Lebensmittel (meist nach Aussehen, Geruch, Konsistenz oder Geschmack) konsequent abgelehnt werden. Es ist besonders bei Kindern häufig, kann aber auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben.
Typische Merkmale:
Eingeschränkte Lebensmittelauswahl
Bevorzugung bestimmter Texturen (z. B. weich, trocken, knusprig)
Angst oder Abneigung vor „neuen“ oder „gemischten“ Speisen
Stresssituationen beim Essen
➡️ In den meisten Fällen handelt es sich nicht um eine Essstörung, sondern um eine Entwicklungsphase oder sensorisch bedingte Präferenz, die mit gezielter Förderung verbessert werden kann.
2. ⚠️ ARFID – Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder
ARFID (dt. „Vermeidende/restriktive Nahrungsaufnahme-Störung“) ist eine klinisch relevante Essstörung, die über normales wählerisches Essen hinausgeht.
📋 Diagnosekriterien (nach DSM-5):
Deutliche Einschränkung der Nahrungsaufnahme (Menge oder Vielfalt)
Nährstoffmangel oder klinisch signifikante Gewichtsabnahme
Abhängigkeit von Nahrungsergänzungen oder Sondenernährung
Psychosoziale Beeinträchtigung (z. B. Vermeidung von sozialen Esssituationen)
Nicht durch Körperbildstörung oder Diätmotivation erklärbar
👀 Subtypen:
1. Sensorisch bedingte Vermeidung – Textur, Geruch, Farbe
2. Angstbasierte Vermeidung – nach Erbrechen, Würgen oder Schluckproblemen
3. Desinteresse am Essen – geringe Hunger- oder Genusswahrnehmung
🔄 Verlauf:
ARFID kann sich aus ausgeprägtem picky eating entwickeln, besonders, wenn Essenssituationen mit Angst, Zwang oder Überforderung verknüpft werden.
3. Wichtige Lebensmittelgruppen
Da picky eating oft zu Einseitigkeit führt, ist das Verständnis der Lebensmittelgruppen zentral.
Lebensmittelgruppe | Hauptnährstoffe | Wichtige Funktionen | Ersatzstrategien bei Ablehnung |
Getreide & Kartoffeln | Kohlenhydrate, B-Vitamine, Ballaststoffe | Energieversorgung, Konzentration | Alternativ: Haferflocken, Reiscracker, Vollkornpasta in kleinen Anteilen einführen |
Gemüse & Obst | Vitamine (A, C, K), Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe | Immunabwehr, Zellschutz | Smoothies, Pürees, Gemüse in Soßen oder Suppen „verstecken“ |
Milch & Milchprodukte | Kalzium, Eiweiß, Vitamin D (fortifiziert) | Knochenaufbau, Muskelerhalt | Pflanzendrinks mit Kalzium, Käse oder Joghurt bevorzugen |
Fleisch, Fisch, Eier | Protein, Eisen, Zink, B12, Omega-3-Fettsäuren | Zellaufbau, Blutbildung, Nervenfunktion | Hülsenfrüchte, Tofu, Haferflocken, Nüsse als Ersatz |
Hülsenfrüchte & Nüsse | Pflanzliches Protein, Ballaststoffe, Magnesium | Energie, Sättigung, Darmgesundheit | Als Aufstrich, Püree, in Backwaren „eingeschlichen“ |
Fette & Öle | Essentielle Fettsäuren (Omega-3/-6), fettlösliche Vitamine | Gehirnfunktion, Hormonregulation | Rapsöl, Leinöl, Avocado, Nussmuse verwenden |
4. 💪 Stärkung und Veränderung des Essverhaltens
4.1 Sensorische Desensibilisierung
Picky Eater haben oft Überempfindlichkeiten gegenüber Texturen oder Gerüchen.
➡️ Ziel: „sensorische Gewöhnung“ ohne Druck.
Übungen:
Lebensmittel berühren, riechen, anfassen, beschreiben – ohne zu essen
Lebensmittel in bekannter Form „verpacken“ (z. B. püriert in Soße)
Neue Speisen visuell präsentieren, bevor sie serviert werden
4.2 Positive Lernerfahrung
Jede neue Erfahrung sollte emotional neutral oder positiv sein.
Keinen Zwang ausüben („Du musst probieren“)
Stattdessen: „Du darfst schauen, riechen, entscheiden.“
Erfolg = Annäherung, nicht Konsum
4.3 Kognitive Umstrukturierung
Picky Eater (besonders ältere Kinder & Erwachsene) profitieren von Wissensvermittlung:
Lebensmittelkunde (Was bewirkt Vitamin C?)
Experimente (z. B. Apfel in Luft → Oxidation → Thema Antioxidantien)
➡️ Das Verstehen der Funktion reduziert Angst und erhöht Motivation.
4.4 Selbstwirksamkeit & Kontrolle
Essen als Selbstentscheidung, nicht als Gehorsamsakt
„Bau dein Teller selbst“-Ansätze
Kleinste Mengen akzeptieren – z. B. 1 Erbse statt 1 Löffel
4.5 Struktur und Sicherheit
Picky Eater profitieren von:
Ritualisierten Mahlzeiten (gleiche Zeit, Ort, Reihenfolge)
Vorhersehbarkeit – kein Überraschungsessen
Kombination Vertraut + Neu („safe food + challenge food“)
5. 🧬 Ernährungspsychologische Zielsetzung
Ziel | Maßnahme | Begründung |
Reduktion von Essangst | Druckfreie Exposition | Aktiviert neuronale Toleranzmechanismen |
Steigerung der Vielfalt | Schrittweise Integration (ähnliche Farben/Texturen) | Vertrautheit reduziert Ablehnung |
Selbstregulation stärken | Wahrnehmungsübungen (Hunger, Sättigung) | Aufbau von Körpervertrauen |
Nährstoffsicherheit | Ergänzende Shakes oder Multivitamin (ärztlich abgesprochen) | Überbrückt Mangelphase |
Soziale Integration | Gemeinsame Essensrituale | Normalisierung, Reduktion von Scham |
6. 🩺 Wann professionelle Hilfe nötig ist
Wenn eines der folgenden Merkmale zutrifft,
sollte eine ärztliche oder ernährungspsychologische Abklärung erfolgen:
Gewichtsstagnation oder -verlust
Deutliche Nährstoffmängel (z. B. Eisen, Vitamin D, Zink)
Sozialer Rückzug bei Essenssituationen
Angstreaktionen (Würgereiz, Panik)
Sehr eingeschränkte Lebensmittelliste (<10–15 Lebensmittel)
Behandlung erfolgt idealerweise multimodal:
🧩 Ernährungsberatung + Verhaltenstherapie + ggf. sensorische Integrationstherapie.
Interventionsschema – Stärkung & Veränderung des Essverhaltens bei Picky Eating / ARFID-Risiko
1️⃣ Phase: Analyse & Vertrauensaufbau (Woche 1–2)
Ziel: Aufbau von Sicherheit, Struktur und Vertrauen in Esssituationen.
Bereich | Maßnahme | Begründung |
Essprotokoll führen | 3–5 Tage dokumentieren: Was, wann, wo, wie gegessen wird | Sichtbar machen von Mustern & "sicheren Lebensmitteln" |
Safe-Food-Liste erstellen | Alle akzeptierten Lebensmittel notieren (Farbe, Konsistenz, Geschmack) | Grundlage für spätere Erweiterung |
Mahlzeitenritual einführen | Gleiche Uhrzeit, gleiche Sitzordnung, vertraute Umgebung | Reduziert Angst & Unvorhersehbarkeit |
Beobachtung statt Bewertung | Keine Kommentare zu Menge oder Auswahl | Vermeidet Druck und Abwehr |
Sensorisches Erkunden | Lebensmittel fühlen, riechen, sortieren ohne Verzehr | Abbau sensorischer Überempfindlichkeit |
📌 Therapeutischer Schwerpunkt:
Vertrauen und Vorhersagbarkeit aufbauen, Kontrolle über Essen zurückgeben, erste positive Esserlebnisse schaffen.
2️⃣ Phase: Sensorische Desensibilisierung (Woche 3–5)
Ziel: Annäherung an neue Lebensmittel ohne Zwang.
Bereich | Maßnahme | Begründung |
Lebensmittel-Exposition | Täglich ein neues Lebensmittel sichtbar machen (z. B. auf dem Tisch, im Tellerkontakt) | Vertrautheit senkt Abwehr |
Sinnesspiele | Lebensmittel nach Farbe, Geruch oder Textur sortieren | Spielerischer Kontakt ohne Essdruck |
1-Stufen-Annäherung | 1. Ansehen → 2. Anfassen → 3. Riechen → 4. Lippenkontakt → 5. Zunge → 6. Kauen → 7. Schlucken | Kleine Schritte = sensorische Gewöhnung |
Mikroportionen | Neues Lebensmittel in Stecknadelkopfgröße anbieten | Reizüberflutung vermeiden |
Positive Verstärkung | Lob für’s Probieren, nicht für’s Aufessen | Fokus auf Mut, nicht Menge |
📌 Therapeutischer Schwerpunkt:
Neue sensorische Erfahrungen zulassen, Angstreaktionen abbauen, Selbstwirksamkeit stärken.
3️⃣ Phase: Kognitive & edukative Erweiterung (Woche 6–8)
Ziel: Verständnis für Ernährung & Körper aufbauen → Motivation und Akzeptanz fördern.
Bereich | Maßnahme | Begründung |
Wissensvermittlung | „Was macht Essen im Körper?“ (z. B. Eisen für Energie, Kalzium für Knochen) | Kognitive Kontrolle ersetzt Angst |
Experimentieren | Mini-Kochaktionen, Smoothie-Mixen, Lebensmittel-Raten mit Augenbinde | Spielerisches Lernen, sensorische Integration |
Vergleiche nutzen | z. B. „Brokkoli ist wie Mini-Bäume – fest, aber weich beim Kauen“ | Metaphern schaffen Vertrautheit |
Reflexionskarten | „Wie fühlt sich das an?“, „Wie riecht es?“, „Wie klingt es beim Kauen?“ | Bewusstes Wahrnehmen statt Bewertung |
Selbstbeobachtung Hunger/Sättigung | Skala von 1–10 vor und nach dem Essen | Förderung von Körperbewusstsein |
📌 Therapeutischer Schwerpunkt:
Ernährung verstehen, Selbstkontrolle stärken, Neugier fördern.
4️⃣ Phase: Strukturierte Vielfaltserweiterung (Woche 9–12)
Ziel: Systematische Integration neuer Lebensmittel bei Wahrung der Sicherheit.
Bereich | Maßnahme | Begründung |
„1-neues-Lebensmittel-pro-Woche“-Regel | Nur 1 neues Lebensmittel bewusst einführen | Erfolgserlebnisse sichern |
Ähnlichkeitsprinzip | Neues ähnelt bekanntem (z. B. Karotte → Süßkartoffel → Kürbis) | Reduziert sensorische Unsicherheit |
Food-Challenges | „Heute probiere ich 1 cm von etwas Neuem“ | Spaß & Zielorientierung |
Kombination sicher + neu | Neues Lebensmittel mit sicherem Essen servieren | emotionale Sicherheit |
Essumgebung variieren | Picknick, Familienessen, Kochkurs | Generalisierung von Esserfahrungen |
📌 Therapeutischer Schwerpunkt:
Erweiterung ohne Überforderung, Vielfalt als Erfolgserlebnis.
5️⃣ Phase: Stabilisierung & Transfer (Woche 13–16)
Ziel: Gelerntes Verhalten verankern und Rückfälle auffangen.
Bereich | Maßnahme | Begründung |
Selbstreflexion | Rückblick: „Was hat sich verändert?“ | Motivation und Bewusstsein |
Belohnungssystem | Neue Geschmacks-Erfolge positiv markieren (Sticker, Lob, Erlebnis) | Verknüpft Neues mit Freude |
Regelmäßige Wiederholungen | Neue Lebensmittel regelmäßig anbieten | Verhindert Rückfall in Vermeidungsverhalten |
Soziale Integration | Gemeinsame Mahlzeiten mit Freunden/Familie | Normalisierung von Essverhalten |
Krisenplan | Strategie für Rückfälle („Ich beginne wieder mit Kontaktphase 1“) | Selbstwirksamkeit sichern |
📌 Therapeutischer Schwerpunkt:
Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Alltagsübertrag.
🧠 Ergänzend: Fachliche Begleitung
Bei stärker ausgeprägtem ARFID oder persistierendem selektiven Essen:
Ernährungspsychologische Therapie (CBT-AR → Cognitive Behavioral Therapy for ARFID)
Sensorische Integrationstherapie (Ergotherapie)
Ernährungsmedizinische Begleitung (Laborkontrolle, Supplementierung)
🧩 Zusammenfassung: Ziele der Intervention
Kategorie | Ziel |
Psychologisch | Abbau von Angst, Aufbau von Essvertrauen |
Sensorisch | Erweiterung der Toleranz gegenüber Texturen, Gerüchen, Geschmäckern |
Kognitiv | Verständnis über Ernährung & Körper stärken |
Verhaltensbezogen | Schrittweise Erweiterung der Lebensmittelauswahl |
Sozial | Teilhabe an gemeinsamen Mahlzeiten ermöglichen |
Physiologisch | Sicherstellung der Nährstoffversorgung |
🧠 Ziel
Nicht nur Ernährung sichern, sondern Essverhalten positiv verändern.
➡️ Aufbau von Vertrauen, Routine und neuen Geschmackserfahrungen.
🩺 1. Grundprinzipien
Prinzip | Beschreibung |
Druck vermeiden | Kein Zwang zum Probieren; stattdessen „Angebot ohne Erwartung“. |
Wiederholte Exposition | Lebensmittel mehrfach in kleinen Mengen anbieten – bis zu 15x nötig, bis Akzeptanz entsteht. |
Essensumgebung ruhig halten | Keine Ablenkungen (z. B. Fernsehen), angenehme Atmosphäre. |
Einbeziehen | Kind/Erwachsene (je nach Fall) beim Zubereiten oder Auswählen beteiligen. |
Vorbildfunktion | Bezugspersonen essen dieselben Speisen – gemeinsames Essen wirkt stark modellierend. |
Textur & Temperatur beachten | Picky Eater reagieren oft auf Konsistenz; ähnliche Nährstoffe in bevorzugten Formen anbieten. |
🥦 2. Ernährungsplan – Beispiel (anpassbar)
Frühstück
Basis: Joghurt oder Quark mit Honig
Variationen:
Tag 1–3: Lieblingsobst klein geschnitten (z. B. Banane)
Tag 4–7: Eine neue Frucht (z. B. Beeren) in Miniportion dazulegen
Ziel: Neue Geschmäcker langsam integrieren
Mittagessen
Basisgericht: Bekanntes Lieblingsgericht (z. B. Nudeln mit Butter oder Tomatensoße)
Strategie:
1 TL neues Gemüse (z. B. fein gehackte Zucchini oder Karotte) untermischen
Bei Akzeptanz Menge langsam erhöhen
Snack
Optionen: Apfelscheiben, Reiswaffeln, Käsewürfel
Ziel: Texturvertrauen – knusprig, weich, cremig abwechseln
Abendessen
Basis: Brot oder Wraps
Strategie:
Neue Zutaten (z. B. Gurkenscheiben, Avocado) in separater Schüssel anbieten
„Selber zusammenstellen“ lassen
💪 3. Langfristige Stärkung des Essverhaltens
Bereich | Maßnahme |
Sensorische Toleranz | „Food Play“ ohne Essdruck: Gemüse anfassen, riechen, beschreiben |
Positive Verstärkung | Lob für’s Probieren, nicht für’s Aufessen |
Ritualisierung | Geregelte Mahlzeitenzeiten, gleiche Sitzplätze, vertraute Teller |
Ernährungspädagogik | Gemeinsam kochen, Marktbesuche, Geschichten über Lebensmittel |
Kognitive Unterstützung | Gespräch über Geschmack („Wie fühlt sich das im Mund an?“ statt „Schmeckt’s dir?“) |
🧩 4. Wichtige Nährstoffabsicherung
Wenn die Auswahl sehr eingeschränkt ist:
Multivitaminpräparat (nach Absprache mit Arzt)
Smoothies oder Shakes zur Mikronährstoffabdeckung
Proteinquellen in akzeptierter Form (z. B. Frikadellen statt Fleischstücke)
Milchprodukte, Eier, Nüsse (je nach Toleranz)
📈 5. Beispiel-Plan für 1 Woche (Kurzfassung)
Tag | Frühstück | Mittag | Snack | Abend |
Mo | Joghurt + Banane | Nudeln + Mini-Zucchini | Reiswaffeln + Käse | Brot + Gurken extra |
Di | Müsli mit Milch | Kartoffelpüree + Erbsen | Apfelstücke | Wraps mit Hähnchen |
Mi | Toast + Frischkäse | Reis + Hühnerstreifen | Beerenmix | Suppe püriert |
Do | Quark + Apfelmus | Nudeln + Soße | Karottensticks | Brot + Ei |
Fr | Pancake + Obstsoße | Couscous (Mild) + Gemüse | Smoothie | Selbst zusammengestellter Wrap |
Sa | Müsli + Joghurt | Pizza mit extra Gemüse | Snack nach Wahl | Suppe oder Brot |
So | Joghurt + Beeren | Lieblingsgericht | Obst | Gemüsesticks mit Dip |
Abschließend lässt sich festhalten, dass wählerisches Essverhalten und die vermeidende/restriktive Nahrungsaufnahme-Störung (ARFID) komplexe, aber verstehbare Phänomene sind. Beide zeigen, wie stark Essen nicht nur körperliche, sondern auch emotionale und soziale Bedeutung hat. Der Weg zu einem ausgewogeneren Essverhalten erfordert Geduld, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, kleine Schritte als große Erfolge zu erkennen. Veränderung geschieht selten von heute auf morgen – sie wächst aus Vertrauen, Wiederholung und positiven Erfahrungen.
Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die mit Verständnis, Ruhe und Offenheit begleiten: Eltern, Fachkräften, Therapeutinnen und Therapeuten sowie allen Personen, die Betroffenen Mut machen, neue Wege zu gehen. Ihre Geduld und ihr Engagement sind entscheidend dafür, dass Essen wieder zu einem natürlichen und freudvollen Teil des Lebens werden kann.
Wer sich auf den Prozess der Veränderung einlässt, entdeckt oft nicht nur neue Geschmäcker, sondern auch neues Selbstvertrauen.
Jeder kleine Fortschritt – ein neuer Bissen, ein probiertes Lebensmittel, ein stressfreies Essen – ist ein Schritt hin zu mehr Freiheit und Wohlbefinden. Essen darf wieder Neugier wecken, Gemeinschaft fördern und Freude bereiten.
Mut zur Veränderung bedeutet nicht, alles auf einmal zu schaffen, sondern den ersten Schritt zu wagen – und dann den nächsten. Jede Annäherung zählt.
Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen und beim Entdecken neuer Wege zu einem entspannten, genussvollen und vielfältigen Essverhalten.
Herzlichst
Sarah Mörstedt


.png)



Kommentare