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Wählerisches selektives Essverhalten positiv verändern (picky Eating / ARFID)

  • Autorenbild: Sarah Mörstedt
    Sarah Mörstedt
  • 28. Okt.
  • 9 Min. Lesezeit

ARFID

Wählerisches Essverhalten und Abgrenzung zur ARFID


Wählerisches Essverhalten, im Englischen häufig als picky eating bezeichnet, beschreibt eine ausgeprägte Selektivität in der Lebensmittelauswahl. Betroffene Personen, meist Kinder, zeigen dabei deutliche Präferenzen für bestimmte Speisen und lehnen andere, oftmals aufgrund von Farbe, Geruch, Konsistenz oder Aussehen, konsequent ab. Dieses Verhalten tritt besonders häufig im Kleinkindalter auf und wird in vielen Fällen als Teil der normalen Essentwicklung betrachtet. Kinder beginnen in dieser Phase, ihren eigenen Geschmack zu entdecken, Selbstbestimmung zu erproben und Kontrolle über ihre Nahrungsaufnahme auszuüben.

Typisch für wählerisches Essverhalten ist, dass Betroffene häufig nur eine begrenzte Auswahl an Lebensmitteln akzeptieren, dabei aber ausreichend Energie und Nährstoffe aufnehmen, um Wachstum und Entwicklung zu gewährleisten. Obwohl Essenssituationen zeitweise konflikthaft verlaufen können, bestehen in der Regel keine medizinisch relevanten Mangelzustände. Das Verhalten kann für Familien jedoch eine erhebliche Belastung darstellen, vor allem, wenn Essenssituationen von Druck, Zwang oder Stress begleitet werden. In solchen Fällen kann sich das Verhalten verfestigen und über Jahre bestehen bleiben.

Die Ursachen von picky eating sind vielfältig. Neben entwicklungspsychologischen Faktoren spielen sensorische Empfindlichkeiten, Lernerfahrungen und familiäre Essgewohnheiten eine zentrale Rolle. Kinder, die auf neue Reize besonders empfindlich reagieren, lehnen ungewohnte Texturen, Gerüche oder Mischspeisen oft stärker ab. Hinzu kommt, dass wiederholter Druck beim Essen, etwa das Erzwingen des Probierens, das Meideverhalten eher verstärkt als verringert. Förderlich sind dagegen positive, druckfreie Esserfahrungen, bei denen Neugier, Routine und Mitbestimmung im Vordergrund stehen.


Von diesem entwicklungsbedingten, meist harmlosen Muster muss die „Avoidant / Restrictive Food Intake Disorder“ (ARFID) abgegrenzt werden – eine im DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) anerkannte Essstörung. ARFID zeichnet sich durch eine deutlich ausgeprägte und klinisch relevante Einschränkung der Nahrungsaufnahme aus, die zu körperlichen, psychischen und sozialen Beeinträchtigungen führt. Betroffene essen nicht nur selektiv, sondern in einem Maße restriktiv, dass Gewichtsverlust, Nährstoffmängel oder Abhängigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln oder Sondenernährung entstehen können.


Während beim wählerischen Essverhalten meist ausreichend Energiezufuhr und körperliche Gesundheit bestehen, kommt es bei ARFID häufig zu Mangelerscheinungen und Beeinträchtigungen der Alltagsbewältigung. So vermeiden Betroffene oftmals gemeinsame Mahlzeiten, ziehen sich sozial zurück oder entwickeln starke Angstreaktionen beim Kontakt mit bestimmten Lebensmitteln. Anders als bei anderen Essstörungen, wie etwa der Anorexia nervosa, liegt bei ARFID keine Angst vor Gewichtszunahme oder eine gestörte Körperwahrnehmung zugrunde. Stattdessen steht die Vermeidung bestimmter Lebensmittel im Vordergrund – ausgelöst durch sensorische Überempfindlichkeiten, negative Erfahrungen (z. B. Würgen, Erbrechen) oder ein generelles Desinteresse am Essen.


Die Übergänge zwischen ausgeprägtem picky eating und ARFID können fließend sein. Wenn das selektive Essverhalten über das Kindesalter hinaus anhält, sich verschärft oder deutliche gesundheitliche Folgen zeigt, sollte eine professionelle Abklärung erfolgen. Eine frühzeitige Intervention kann verhindern, dass sich aus einem ursprünglich harmlosen Muster eine ernährungsbezogene Störung entwickelt.


Therapeutisch stehen bei ARFID multimodale Ansätze im Vordergrund: Ernährungspsychologische Begleitung, kognitive Verhaltenstherapie (z. B. CBT-AR) und sensorische Integrationstherapie können helfen, Ängste abzubauen und die Lebensmittelauswahl schrittweise zu erweitern. Beim wählerischen Essverhalten hingegen reicht häufig eine pädagogisch-psychologische Unterstützung, die auf druckfreie Exposition, positive Verstärkung und strukturiertes Essverhalten setzt.


Zusammenfassend lässt sich sagen:

Wählerisches Essverhalten ist ein häufiges, meist vorübergehendes Entwicklungsphänomen, das durch behutsame Begleitung und positive Essumgebung in den meisten Fällen selbstständig überwunden werden kann. ARFID hingegen ist eine ernstzunehmende Essstörung mit medizinischer Relevanz, die professionelle Behandlung erfordert. Eine klare Abgrenzung zwischen beiden ist entscheidend, um Betroffene angemessen zu unterstützen und Über- oder Unterreaktionen zu vermeiden.

 

— Verständnis, Stärkung und ernährungspsychologische Ansätze —


1. 🌿 Was ist wählerisches Essverhalten?

Wählerisches Essverhalten (picky eating) ist ein selektives Essmuster, bei dem bestimmte Lebensmittel (meist nach Aussehen, Geruch, Konsistenz oder Geschmack) konsequent abgelehnt werden. Es ist besonders bei Kindern häufig, kann aber auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben.


Typische Merkmale:

Eingeschränkte Lebensmittelauswahl

Bevorzugung bestimmter Texturen (z. B. weich, trocken, knusprig)

Angst oder Abneigung vor „neuen“ oder „gemischten“ Speisen

Stresssituationen beim Essen

➡️ In den meisten Fällen handelt es sich nicht um eine Essstörung, sondern um eine Entwicklungsphase oder sensorisch bedingte Präferenz, die mit gezielter Förderung verbessert werden kann.


 

2. ⚠️ ARFID – Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder

ARFID (dt. „Vermeidende/restriktive Nahrungsaufnahme-Störung“) ist eine klinisch relevante Essstörung, die über normales wählerisches Essen hinausgeht.


📋 Diagnosekriterien (nach DSM-5):

Deutliche Einschränkung der Nahrungsaufnahme (Menge oder Vielfalt)

Nährstoffmangel oder klinisch signifikante Gewichtsabnahme

Abhängigkeit von Nahrungsergänzungen oder Sondenernährung

Psychosoziale Beeinträchtigung (z. B. Vermeidung von sozialen Esssituationen)

Nicht durch Körperbildstörung oder Diätmotivation erklärbar


👀 Subtypen:

1. Sensorisch bedingte Vermeidung – Textur, Geruch, Farbe

2. Angstbasierte Vermeidung – nach Erbrechen, Würgen oder Schluckproblemen

3. Desinteresse am Essen – geringe Hunger- oder Genusswahrnehmung


🔄 Verlauf:

ARFID kann sich aus ausgeprägtem picky eating entwickeln, besonders, wenn Essenssituationen mit Angst, Zwang oder Überforderung verknüpft werden.


3. Wichtige Lebensmittelgruppen

Da picky eating oft zu Einseitigkeit führt, ist das Verständnis der Lebensmittelgruppen zentral.

Lebensmittelgruppe

Hauptnährstoffe

Wichtige Funktionen

Ersatzstrategien bei Ablehnung

Getreide & Kartoffeln

Kohlenhydrate, B-Vitamine, Ballaststoffe

Energieversorgung, Konzentration

Alternativ: Haferflocken, Reiscracker, Vollkornpasta in kleinen Anteilen einführen

Gemüse & Obst

Vitamine (A, C, K), Mineralstoffe, sekundäre Pflanzenstoffe

Immunabwehr, Zellschutz

Smoothies, Pürees, Gemüse in Soßen oder Suppen „verstecken“

Milch & Milchprodukte

Kalzium, Eiweiß, Vitamin D (fortifiziert)

Knochenaufbau, Muskelerhalt

Pflanzendrinks mit Kalzium, Käse oder Joghurt bevorzugen

Fleisch, Fisch, Eier

Protein, Eisen, Zink, B12, Omega-3-Fettsäuren

Zellaufbau, Blutbildung, Nervenfunktion

Hülsenfrüchte, Tofu, Haferflocken, Nüsse als Ersatz

Hülsenfrüchte & Nüsse

Pflanzliches Protein, Ballaststoffe, Magnesium

Energie, Sättigung, Darmgesundheit

Als Aufstrich, Püree, in Backwaren „eingeschlichen“

Fette & Öle

Essentielle Fettsäuren (Omega-3/-6), fettlösliche Vitamine

Gehirnfunktion, Hormonregulation

Rapsöl, Leinöl, Avocado, Nussmuse verwenden


4. 💪 Stärkung und Veränderung des Essverhaltens


4.1 Sensorische Desensibilisierung

Picky Eater haben oft Überempfindlichkeiten gegenüber Texturen oder Gerüchen.

➡️ Ziel: „sensorische Gewöhnung“ ohne Druck.


Übungen:

Lebensmittel berühren, riechen, anfassen, beschreiben – ohne zu essen

Lebensmittel in bekannter Form „verpacken“ (z. B. püriert in Soße)

Neue Speisen visuell präsentieren, bevor sie serviert werden


4.2 Positive Lernerfahrung

Jede neue Erfahrung sollte emotional neutral oder positiv sein.

Keinen Zwang ausüben („Du musst probieren“)

Stattdessen: „Du darfst schauen, riechen, entscheiden.“

Erfolg = Annäherung, nicht Konsum


4.3 Kognitive Umstrukturierung

Picky Eater (besonders ältere Kinder & Erwachsene) profitieren von Wissensvermittlung:

Lebensmittelkunde (Was bewirkt Vitamin C?)

Experimente (z. B. Apfel in Luft → Oxidation → Thema Antioxidantien)

➡️ Das Verstehen der Funktion reduziert Angst und erhöht Motivation.


4.4 Selbstwirksamkeit & Kontrolle

Essen als Selbstentscheidung, nicht als Gehorsamsakt

„Bau dein Teller selbst“-Ansätze

Kleinste Mengen akzeptieren – z. B. 1 Erbse statt 1 Löffel


4.5 Struktur und Sicherheit

Picky Eater profitieren von:

Ritualisierten Mahlzeiten (gleiche Zeit, Ort, Reihenfolge)

Vorhersehbarkeit – kein Überraschungsessen

Kombination Vertraut + Neu („safe food + challenge food“)


5. 🧬 Ernährungspsychologische Zielsetzung

Ziel

Maßnahme

Begründung

Reduktion von Essangst

Druckfreie Exposition

Aktiviert neuronale Toleranzmechanismen

Steigerung der Vielfalt

Schrittweise Integration (ähnliche Farben/Texturen)

Vertrautheit reduziert Ablehnung

Selbstregulation stärken

Wahrnehmungsübungen (Hunger, Sättigung)

Aufbau von Körpervertrauen

Nährstoffsicherheit

Ergänzende Shakes oder Multivitamin (ärztlich abgesprochen)

Überbrückt Mangelphase

Soziale Integration

Gemeinsame Essensrituale

Normalisierung, Reduktion von Scham

6. 🩺 Wann professionelle Hilfe nötig ist


Wenn eines der folgenden Merkmale zutrifft,

sollte eine ärztliche oder ernährungspsychologische Abklärung erfolgen:


  • Gewichtsstagnation oder -verlust

  • Deutliche Nährstoffmängel (z. B. Eisen, Vitamin D, Zink)

  • Sozialer Rückzug bei Essenssituationen

  • Angstreaktionen (Würgereiz, Panik)

  • Sehr eingeschränkte Lebensmittelliste (<10–15 Lebensmittel)


  • Behandlung erfolgt idealerweise multimodal:

🧩 Ernährungsberatung + Verhaltenstherapie + ggf. sensorische Integrationstherapie.

 

 

Interventionsschema – Stärkung & Veränderung des Essverhaltens bei Picky Eating / ARFID-Risiko


1️⃣ Phase: Analyse & Vertrauensaufbau (Woche 1–2)


Ziel: Aufbau von Sicherheit, Struktur und Vertrauen in Esssituationen.

Bereich

Maßnahme

Begründung

Essprotokoll führen

3–5 Tage dokumentieren: Was, wann, wo, wie gegessen wird

Sichtbar machen von Mustern & "sicheren Lebensmitteln"

Safe-Food-Liste erstellen

Alle akzeptierten Lebensmittel notieren (Farbe, Konsistenz, Geschmack)

Grundlage für spätere Erweiterung

Mahlzeitenritual einführen

Gleiche Uhrzeit, gleiche Sitzordnung, vertraute Umgebung

Reduziert Angst & Unvorhersehbarkeit

Beobachtung statt Bewertung

Keine Kommentare zu Menge oder Auswahl

Vermeidet Druck und Abwehr

Sensorisches Erkunden

Lebensmittel fühlen, riechen, sortieren ohne Verzehr

Abbau sensorischer Überempfindlichkeit

📌 Therapeutischer Schwerpunkt:

Vertrauen und Vorhersagbarkeit aufbauen, Kontrolle über Essen zurückgeben, erste positive Esserlebnisse schaffen.


2️⃣ Phase: Sensorische Desensibilisierung (Woche 3–5)

Ziel: Annäherung an neue Lebensmittel ohne Zwang.

Bereich

Maßnahme

Begründung

Lebensmittel-Exposition

Täglich ein neues Lebensmittel sichtbar machen (z. B. auf dem Tisch, im Tellerkontakt)

Vertrautheit senkt Abwehr

Sinnesspiele

Lebensmittel nach Farbe, Geruch oder Textur sortieren

Spielerischer Kontakt ohne Essdruck

1-Stufen-Annäherung

1. Ansehen → 2. Anfassen → 3. Riechen → 4. Lippenkontakt → 5. Zunge → 6. Kauen → 7. Schlucken

Kleine Schritte = sensorische Gewöhnung

Mikroportionen

Neues Lebensmittel in Stecknadelkopfgröße anbieten

Reizüberflutung vermeiden

Positive Verstärkung

Lob für’s Probieren, nicht für’s Aufessen

Fokus auf Mut, nicht Menge


📌 Therapeutischer Schwerpunkt:

Neue sensorische Erfahrungen zulassen, Angstreaktionen abbauen, Selbstwirksamkeit stärken.


3️⃣ Phase: Kognitive & edukative Erweiterung (Woche 6–8)

Ziel: Verständnis für Ernährung & Körper aufbauen → Motivation und Akzeptanz fördern.

Bereich

Maßnahme

Begründung

Wissensvermittlung

„Was macht Essen im Körper?“ (z. B. Eisen für Energie, Kalzium für Knochen)

Kognitive Kontrolle ersetzt Angst

Experimentieren

Mini-Kochaktionen, Smoothie-Mixen, Lebensmittel-Raten mit Augenbinde

Spielerisches Lernen, sensorische Integration

Vergleiche nutzen

z. B. „Brokkoli ist wie Mini-Bäume – fest, aber weich beim Kauen“

Metaphern schaffen Vertrautheit

Reflexionskarten

„Wie fühlt sich das an?“, „Wie riecht es?“, „Wie klingt es beim Kauen?“

Bewusstes Wahrnehmen statt Bewertung

Selbstbeobachtung Hunger/Sättigung

Skala von 1–10 vor und nach dem Essen

Förderung von Körperbewusstsein

📌 Therapeutischer Schwerpunkt:

Ernährung verstehen, Selbstkontrolle stärken, Neugier fördern.


4️⃣ Phase: Strukturierte Vielfaltserweiterung (Woche 9–12)


Ziel: Systematische Integration neuer Lebensmittel bei Wahrung der Sicherheit.

Bereich

Maßnahme

Begründung

„1-neues-Lebensmittel-pro-Woche“-Regel

Nur 1 neues Lebensmittel bewusst einführen

Erfolgserlebnisse sichern

Ähnlichkeitsprinzip

Neues ähnelt bekanntem (z. B. Karotte → Süßkartoffel → Kürbis)

Reduziert sensorische Unsicherheit

Food-Challenges

„Heute probiere ich 1 cm von etwas Neuem“

Spaß & Zielorientierung

Kombination sicher + neu

Neues Lebensmittel mit sicherem Essen servieren

emotionale Sicherheit

Essumgebung variieren

Picknick, Familienessen, Kochkurs

Generalisierung von Esserfahrungen

📌 Therapeutischer Schwerpunkt:

Erweiterung ohne Überforderung, Vielfalt als Erfolgserlebnis.


5️⃣ Phase: Stabilisierung & Transfer (Woche 13–16)

Ziel: Gelerntes Verhalten verankern und Rückfälle auffangen.

Bereich

Maßnahme

Begründung

Selbstreflexion

Rückblick: „Was hat sich verändert?“

Motivation und Bewusstsein

Belohnungssystem

Neue Geschmacks-Erfolge positiv markieren (Sticker, Lob, Erlebnis)

Verknüpft Neues mit Freude

Regelmäßige Wiederholungen

Neue Lebensmittel regelmäßig anbieten

Verhindert Rückfall in Vermeidungsverhalten

Soziale Integration

Gemeinsame Mahlzeiten mit Freunden/Familie

Normalisierung von Essverhalten

Krisenplan

Strategie für Rückfälle („Ich beginne wieder mit Kontaktphase 1“)

Selbstwirksamkeit sichern

📌 Therapeutischer Schwerpunkt:

Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Alltagsübertrag.


🧠 Ergänzend: Fachliche Begleitung


Bei stärker ausgeprägtem ARFID oder persistierendem selektiven Essen:

Ernährungspsychologische Therapie (CBT-AR → Cognitive Behavioral Therapy for ARFID)

Sensorische Integrationstherapie (Ergotherapie)

Ernährungsmedizinische Begleitung (Laborkontrolle, Supplementierung)


🧩 Zusammenfassung: Ziele der Intervention

Kategorie

Ziel

Psychologisch

Abbau von Angst, Aufbau von Essvertrauen

Sensorisch

Erweiterung der Toleranz gegenüber Texturen, Gerüchen, Geschmäckern

Kognitiv

Verständnis über Ernährung & Körper stärken

Verhaltensbezogen

Schrittweise Erweiterung der Lebensmittelauswahl

Sozial

Teilhabe an gemeinsamen Mahlzeiten ermöglichen

Physiologisch

Sicherstellung der Nährstoffversorgung

🧠 Ziel

Nicht nur Ernährung sichern, sondern Essverhalten positiv verändern.

➡️ Aufbau von Vertrauen, Routine und neuen Geschmackserfahrungen.


🩺 1. Grundprinzipien

Prinzip

Beschreibung

Druck vermeiden

Kein Zwang zum Probieren; stattdessen „Angebot ohne Erwartung“.

Wiederholte Exposition

Lebensmittel mehrfach in kleinen Mengen anbieten – bis zu 15x nötig, bis Akzeptanz entsteht.

Essensumgebung ruhig halten

Keine Ablenkungen (z. B. Fernsehen), angenehme Atmosphäre.

Einbeziehen

Kind/Erwachsene (je nach Fall) beim Zubereiten oder Auswählen beteiligen.

Vorbildfunktion

Bezugspersonen essen dieselben Speisen – gemeinsames Essen wirkt stark modellierend.

Textur & Temperatur beachten

Picky Eater reagieren oft auf Konsistenz; ähnliche Nährstoffe in bevorzugten Formen anbieten.


 

🥦 2. Ernährungsplan – Beispiel (anpassbar)


Frühstück

  • Basis: Joghurt oder Quark mit Honig

  • Variationen:

    • Tag 1–3: Lieblingsobst klein geschnitten (z. B. Banane)

    • Tag 4–7: Eine neue Frucht (z. B. Beeren) in Miniportion dazulegen

  • Ziel: Neue Geschmäcker langsam integrieren


Mittagessen

  • Basisgericht: Bekanntes Lieblingsgericht (z. B. Nudeln mit Butter oder Tomatensoße)

  • Strategie:

    • 1 TL neues Gemüse (z. B. fein gehackte Zucchini oder Karotte) untermischen

    • Bei Akzeptanz Menge langsam erhöhen

Snack

  • Optionen: Apfelscheiben, Reiswaffeln, Käsewürfel

  • Ziel: Texturvertrauen – knusprig, weich, cremig abwechseln


Abendessen

  • Basis: Brot oder Wraps

  • Strategie:

    • Neue Zutaten (z. B. Gurkenscheiben, Avocado) in separater Schüssel anbieten

    • „Selber zusammenstellen“ lassen


💪 3. Langfristige Stärkung des Essverhaltens

Bereich

Maßnahme

Sensorische Toleranz

„Food Play“ ohne Essdruck: Gemüse anfassen, riechen, beschreiben

Positive Verstärkung

Lob für’s Probieren, nicht für’s Aufessen

Ritualisierung

Geregelte Mahlzeitenzeiten, gleiche Sitzplätze, vertraute Teller

Ernährungspädagogik

Gemeinsam kochen, Marktbesuche, Geschichten über Lebensmittel

Kognitive Unterstützung

Gespräch über Geschmack („Wie fühlt sich das im Mund an?“ statt „Schmeckt’s dir?“)

🧩 4. Wichtige Nährstoffabsicherung


Wenn die Auswahl sehr eingeschränkt ist:

  • Multivitaminpräparat (nach Absprache mit Arzt)

  • Smoothies oder Shakes zur Mikronährstoffabdeckung

  • Proteinquellen in akzeptierter Form (z. B. Frikadellen statt Fleischstücke)

  • Milchprodukte, Eier, Nüsse (je nach Toleranz)


📈 5. Beispiel-Plan für 1 Woche (Kurzfassung)

Tag

Frühstück

Mittag

Snack

Abend

Mo

Joghurt + Banane

Nudeln + Mini-Zucchini

Reiswaffeln + Käse

Brot + Gurken extra

Di

Müsli mit Milch

Kartoffelpüree + Erbsen

Apfelstücke

Wraps mit Hähnchen

Mi

Toast + Frischkäse

Reis + Hühnerstreifen

Beerenmix

Suppe püriert

Do

Quark + Apfelmus

Nudeln + Soße

Karottensticks

Brot + Ei

Fr

Pancake + Obstsoße

Couscous (Mild) + Gemüse

Smoothie

Selbst zusammengestellter Wrap

Sa

Müsli + Joghurt

Pizza mit extra Gemüse

Snack nach Wahl

Suppe oder Brot

So

Joghurt + Beeren

Lieblingsgericht

Obst

Gemüsesticks mit Dip

 

 Abschließend lässt sich festhalten, dass wählerisches Essverhalten und die vermeidende/restriktive Nahrungsaufnahme-Störung (ARFID) komplexe, aber verstehbare Phänomene sind. Beide zeigen, wie stark Essen nicht nur körperliche, sondern auch emotionale und soziale Bedeutung hat. Der Weg zu einem ausgewogeneren Essverhalten erfordert Geduld, Einfühlungsvermögen und die Bereitschaft, kleine Schritte als große Erfolge zu erkennen. Veränderung geschieht selten von heute auf morgen – sie wächst aus Vertrauen, Wiederholung und positiven Erfahrungen.


Ein herzliches Dankeschön gilt allen, die mit Verständnis, Ruhe und Offenheit begleiten: Eltern, Fachkräften, Therapeutinnen und Therapeuten sowie allen Personen, die Betroffenen Mut machen, neue Wege zu gehen. Ihre Geduld und ihr Engagement sind entscheidend dafür, dass Essen wieder zu einem natürlichen und freudvollen Teil des Lebens werden kann.

Wer sich auf den Prozess der Veränderung einlässt, entdeckt oft nicht nur neue Geschmäcker, sondern auch neues Selbstvertrauen.


Jeder kleine Fortschritt – ein neuer Bissen, ein probiertes Lebensmittel, ein stressfreies Essen – ist ein Schritt hin zu mehr Freiheit und Wohlbefinden. Essen darf wieder Neugier wecken, Gemeinschaft fördern und Freude bereiten.

Mut zur Veränderung bedeutet nicht, alles auf einmal zu schaffen, sondern den ersten Schritt zu wagen – und dann den nächsten. Jede Annäherung zählt.


Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen und beim Entdecken neuer Wege zu einem entspannten, genussvollen und vielfältigen Essverhalten.

 

Herzlichst

Sarah Mörstedt

 
 
 

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